Die Uraufführung der Dritten - Ein Desaster
Anton Bruckner und seine Dritte ist wahrlich ein ganz spezielles Kapitel in der Lebens- und Schaffensgeschichte des Wiener Meisters. Das Werk war bereits dreimal bei Orchesterproben abgelehnt worden. Übrigens ist es damit in bester Gesellschaft mit Schuberts großer C-Dur-Sinfonie.
Keine seiner Symphonien ist in derart vielen Fassungen und Druckversionen überliefert. Und nicht zu vergessen, war sie es, die Bruckner eine öffentliche Demütigung ersten Ranges bescherte. Die Rede ist von der Wiener Uraufführung der Symphonie im Dezember 1877, wobei es sich um die Aufführung der bereits tief greifend überarbeiteten Zweitfassung handelt, die er kurz zuvor vollendete. Die letztlich dennoch durchgesetzte, lang ersehnte Premiere der Symphonie hätte dann eigentlich Johann Herbeck leiten sollen, allerdings verstarb dieser wenige Wochen vor dem großen Ereignis. Bruckner sprang für ihn am Dirigentenpult ein, ein folgenschwerer Fehler, denn Bruckner war Chordirigent und hatte keine Erfahrung in der Leitung eines Sinfonieorchesters.
Bei der von ihm geleiteten Uraufführung mit den Wiener Philharmonikern verließen die Zuhörer im Musikverein scharenweise den Saal, kaum nach Verklingen des letzten Akkords waren (spätestens!) auch alle Orchestermusiker verschwunden. Die Musikkritik überschüttete den Komponisten zum größtenteils mit Spott und Unverständnis.
Dabei gingen der 3. Symphonie große Erfolge voraus: Bei Konzertreisen nach Paris, Nancy und London wurde Bruckner als einer der bedeutendsten Organisten des Jahrhunderts gefeiert; er beeindruckte mit seinen Orgel-Improvisationen Musikergrößen wie César Franck, Camille Saint-Saëns und Charles Gounod und Franz Liszt lobte seine in Wien recht erfolgreich uraufgeführte 2. Symphonie.
Entstehung der 3. Sinfonie
Im Herbst 1872 – unmittelbar nach Vollendung seiner 2. Symphonie – machte sich Anton Bruckner an die Komposition der 3. Symphonie. Er befand sich mitten im fruchtbarsten Schaffensabschnitt seines Lebens. Zwischen Oktober 1871 und Mai 1876 entstanden praktisch ohne Unterbrechung die Symphonien 2 bis 5. Der Arbeitsverlauf an der 3. Symphonie war ungewöhnlich zügig. Bereits im Juli 1873 waren die drei ersten Sätze fertig, und am 31. August des Jahres vollendete er die Skizze des 4. Satzes in Marienbad, nachdem der Ausbruch der Cholera ihn aus Wien vertrieben hatte. Am 31. Dezember 1873 „nachts“ schloss Bruckner seine bis dahin umfangreichste Symphonie ab, in der sich erstmals durchgängig und konsequent die in den Vorgängerwerken sich abzeichnenden Brucknerschen Neuerungen und Eigenheiten der symphonischen Gestaltung und Formung manifestierten.
Wie lässt sich wohl das stetige und über Jahrzehnte anhaltende Überarbeiten dieses genialen Wurfes erklären? Die Dritte war sein Sorgenkind, die ihm bekanntlich ungekannte Widrigkeiten bescherte. Bruckner war die besondere Bedeutung, die gerade diese Symphonie für ihn selbst und sein Schaffen besaß, jedoch bewusst. Denn schließlich hatte er mit dieser 3. Symphonie – und das heißt vor allem: mit der Erstfassung des Werkes – verwirklicht, worauf seine Kräfte und Anstrengungen mit aller Macht gerichtet waren: eine wahrhaft große Symphonie, durch und durch und bis ins kleinste Detail getragen von der Idee des Monumentalen. Beachtlich ist der Umfang der Erstfassung, die mit 2056 Takten das längste Werk ist, das Bruckner in seinem Leben komponieren sollte.
Quelle: Stephen Johnson, Hyperion records
Bruckner und Wagner
Bruckner war 38 Jahre alt, als er mit Wagners Musik in Berührung kam. Von seinem damaligen Kompositionslehrer, einem um zehn Jahre jüngeren Theaterkapellmeister in Linz, war Bruckner, der bis dahin vorrangig Kirchenmusikwerke komponiert hatte, an die Musik Mendelssohns, Schumanns, Berlioz’ und vor allem Wagners herangeführt worden. Bruckner hatte eine mehrjährige Studienzeit bei dem renommierten Wiener Kompositionslehrer und Musiktheoretiker Simon Sechter hinter sich. Generalbass, Kontrapunkt, strenger Choralsatz, Kanon und Fuge – das Studierte blieb für Bruckner stets Fundament seines Komponierens. Die harmonische und klangliche Welt Wagners wirkte jedoch auf Bruckner. Er fühlte sich dadurch offenbar selbst befreit von kompositorischen Konventionen, was keineswegs gleich bedeutend ist mit Missachtung der musikalischen Harmonie- und Satzlehre.
Mit der zweiten und noch nicht ganz fertig instrumentierten dritten Symphonie reiste Bruckner im September 1873 nach Bayreuth, um Richard Wagner persönlich die Widmung einer der beiden Symphonien anzutragen. Acht Jahre davor hatte er den „Meister aller Meister“ beim Besuch einer Tristan-Vorstellung in München persönlich kennen gelernt und 1868 von Wagner die Zustimmung zur konzertanten Uraufführung der Schlussszene der Oper Die Meistersinger von Nürnberg in einem Konzert der Linzer Liedertafel Frohsinn unter seiner Leitung erhalten. Aber nun kam es zu einem Zusammentreffen in privatem Rahmen. An einem Septembertag zur Mittagszeit konnte Bruckner laut späterer Schilderung in einem Brief Wagner dazu bringen, die Symphonien durchzusehen. Nachdem sich Wagner einen Überblick über die zweite Symphonie verschafft hatte, ging er von der Dritten, so Bruckner „die ganze 1. Abteilung durch“, die Trompete hat Wagner dabei besonders erwähnt. Später am Tag kam es dann zu einem erneuten Zusammentreffen im Salon der Villa Wahnfried, die sich noch im Bau befand. Bei dieser Gelegenheit erfuhr Bruckner von Wagner, dass es mit der Widmung der dritten Symphonie „seine Richtigkeit habe“. Danach floss offenbar viel Bier, wovon ein ebenfalls anwesender, in der Villa tätiger Bildhauer zu berichten wusste, denn am nächsten Tag wusste Bruckner nicht mehr, für welche der beiden Symphonien Wagner nun die Widmung angenommen habe, so dass er schriftlich nachfragen musste. „Symfonie in D moll, wo die Trompete das Thema beginnt“, erkundigte sich Bruckner bei Wagner, der lapidar antwortete: „Ja! Ja! Herzlichen Gruss!“. Einerseits ist unbestreitbar, dass die Auseinandersetzung mit der Musik Wagners für Bruckner entscheidend war im vielleicht wichtigsten Stadium seiner kompositorischen Entwicklung - in den frühen 1860er Jahren, als er den Weg von instrumentalen Studienwerken zur Komposition großer Messen und Symphonien fand. Andererseits lässt sich keineswegs behaupten, dass Bruckner in damals zum unselbständigen Nachahmer geworden wäre. Wagner war für ihn ein entscheidender Anreger, aber keineswegs ein nachzuahmendes Vorbild - und Wagner wusste das offensichtlich auch zu schätzen. Bruckner hatte seinen Kompositionsstil gefunden, der es ihm erlaubte, als Wagnerianer gleichwohl Messen und Symphonien zu komponieren.
Dass dieses Werk Wagner zugleich nahe und fern steht, zeigt sich wohl paradoxerweise nirgends deutlicher als in den Wagner-Zitaten, die Bruckner in verschiedenen Sätzen in seine Komposition eingefügt hat. Bis zu fünfzehn Wagner-Anspielungen wurden in der Symphonie erkannt und den Musikdramen Tannhäuser, Die Walküre, Die Meistersinger von Nürnberg, Lohengrin und Tristan und Isolde zugeordnet. Aufschlussreich ist, dass diese Zitate sich zumeist nicht an markanten Höhepunkten in triumphaler Lautstärke finden, sondern in Episoden der Zurückhaltung und Beruhigung nach dem Höhepunkt einer Steigerung. Wagners Musikdramen und Bruckners 3. Symphonie sind in ihrem Ausdruckscharakter grundverschieden. Auch dann, wenn Bruckner Wagner zitiert, findet er immer wieder zur Prägnanz seiner eigenen Themen zurück. Sein Verhältnis zu Wagner ist die wohl eindrucksvollste Konkretisierung seines Verhältnisses zu Tradition und Gegenwart: Das Tradition Vorgefundene - auch das Erbe der aktuellen Musik seiner eigenen Zeit - ergreift Bruckner, um es einzuschmelzen in seine ureigenen musikalischen Zusammenhänge, die weit in die Zukunft weisen.
„Wagner Sinfonie No. 3 Dmoll“ steht auf dem Titelblatt der autographen Partitur (der zweiten Fassung) und dann noch einmal über der ersten Seite des ersten Satzes, wobei der Name Wagner in Bruckners bester Schönschrift prächtig hervorgehoben ist. Bruckner selbst also prägte den Namen Wagner-Symphonie für dieses Werk. Für den Komponisten blieb die Dritte auch dann untrennbar mit dem von ihm hochverehrten Meister aus Bayreuth verbunden, nachdem er die meisten offensichtlichen Wagner-Zitate entfernt hatte. Das ging deshalb so einfach, weil die Zitate oft in Entspannungsphasen der Musik, bei Überleitungen eingearbeitet sind.
In rein kompositorischer Hinsicht bleiben die Bezüge eher oberflächlich. Denn bei aller Bewunderung für den um elf Jahre älteren Komponisten lag es nie in Bruckners Absicht, Wagner nachzueifern und Wagners Musik nachzuahmen, gleichsam die Symphoniker-Ausgabe des Opernkomponisten Wagner zu schaffen. Wagner komponierte tönende Psychogramme, Bruckner formte musikalische Architektur. Sie sind diametral in der Klanggestaltung: Wagner suchte immer den verschmelzenden Mischklang, Bruckner setzte die einzelnen Instrumentengruppen – darin ganz Organist – wie Register neben- und gegeneinander.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Ende des nationalsozialistischen Kults von Bruckner als - wenn auch einfältigem – Wagnerianer, unternahm man nun den gutgemeinten Versuch, Bruckner und seine Musik aus dem Schatten Wagners zu befreien. Es wurde nun verstärkt darauf hingewiesen, dass Bruckners Grundlagen als junger Komponist Bach, die Kirchenmusik Haydns, Mozarts und Schuberts waren. Dies ist richtig, greift aber zu kurz:
Zum einen: Bruckners Choräle sind nicht nur religiöse Symbole, die sich auf kirchenmusikalische Vorbilder beziehen sondern auch Auseinandersetzung mit einem Werk Wagners, das für Bruckner zum Schlüsselerlebnis geworden ist: Der Tannhäuser. Richard Wagners choralartiger Pilgerchor präsentiert sich unzweideutig als religiös-szenisches Symbol: Schon das Orchestervorspiel soll, ähnlich wie eine Programmmusik, die akustische Illusion eines Pilgerzuges erzeugen, der sich nähert und später wieder entfernt. Wagners Lösung, der Durchbruch von der Instrumentalmusik zum Musiktheater, konnte allerdings für Bruckner kein Modell sein. Für ihn waren, anders als für Richard Wagner, trotz Beethovens neunter Symphonie die Mittel der rein instrumentalen Musik noch keineswegs erschöpft. Und er hat mit seiner sinfonischen Musik ja sogar Wagner überzeugt. Offensichtlich ist allerdings auch, dass Bruckner sich von Wagners organisch entwickelndem Musikdenken hat beeinflussen lassen - in thematischen Entwicklungen, die auf verschlungenen Wegen von ersten leisen Andeutungen schließlich zur monumentalen Apotheose führen.
Zum anderen: Die beiden Zitate im ersten Satz von 1873, Brünnhildes Zauberschlaf und Isoldes Liebestod, offenbaren ein gemeinsames Thema: die Vorstellung von einer Frau, die im Wortsinne oder metaphorisch in Schlaf verfällt. Constantin Floros sieht darin ein Zusammenhang damit, dass Bruckner die Dritte, oder zumindest das Adagio als musikalisches Denkmal für seine „entschlafene“ Mutter gesehen hat. Das Adagio in der erst kürzlich entdeckten Fassung von 1876 weist eine weitere Wagnersche Paarung auf: das Zitat aus Lohengrin „gesegnet sollst du schreiten“ kombiniert mit Streicherfigurationen die stark an Tannhäuser erinnern. Beide Opern handeln von einem christlichen Ritter, der eine keusch vermählt, der andere der Liebesgöttin Venus hingegeben. Bruckners Beziehung zu Frauen mag problematisch gewesen sein – ignorieren sollte man diese Hinweise nicht.
Quelle: Rudolf Frisius, www.frisius.de
Die Bruckner-Symphonie par excellence am Beispiels des 1 . Satzes
Ähnlich wie Beethovens Dritte (Eroica) markiert Bruckners Dritte einen qualitativen Sprung in der Entwicklung des Komponisten. Bruckner hatte sein ureigenes symphonisches Konzept gefunden, das für sein Komponieren richtungsweisend bleiben sollte, eigenständig und original.
Dass die Dritte ausgerechnet in d-Moll notiert ist, der Tonart von Beethovens Neunter ist Ausdruck von Bruckners beträchtlichem Selbstvertrauen und dem ehrgeizigen Anspruch, den er an sich und sein Komponieren richtete. Hier spiegelt sich aber auch die Janusköpfigkeit des Menschen und Künstlers Bruckner (Michael Lewin). Einerseits unsicher und vor allem beeinflussbar wie kaum ein zweiter der Großen der Musikgeschichte, andererseits inspiriert von größten Formen, verlegensten Konzepten und daraus resultierend zu einer Tonsprache findend, die in Klang und Ausdruck nicht nur einzigartig bis dahin war, sondern auch bis heute bleiben sollte. Es musste also Beethovens Neunte sein, die Symphonie der Symphonien, die Bruckner übrigens erst mit 42 Jahren hörte aber natürlich vorher genau studiert hatte.
Der Beginn könnte stellvertretend als Urbild für die Anfänge sämtlicher Bruckner-Symphonien stehen: Über eine leere Quinte legt sich das berühmte Hauptthema, zuerst in der Trompete vorgetragen, bevor es, über eine lange Steigerung aufbereitet, unisono im Fortissimo des gesamten Orchesters vorgetragen wird.
Es ist weniger subjektives Thema sondern ein Tonsymbol, wir kennen es als Begleitfigur aus Bruckners Te Deum:
Bruckner greift häufig Elemente der Barockmusik auf, mit der er in seiner Funktion als Kirchenmusiker in engen Kontakt gekommen war. Sequenzen sind häufig, neben akkordischer Setzweise steht eine reiche Verwendung von Kontrapunktik. Themen erscheinen oft in Umkehrung. Hier am Beispiel des Hauptthemas:
Charakteristisch auch der typische Bruckner-Rhythmus, eine Duole, gefolgt von einer Triole. Dieser Rhythmus beherrscht die 3. Themengruppe des Kopfsatzes:
Im 1. Satz der 3. Symphonie erscheint dieser Rhythmus allerdings zunächst umgekehrt im 2. Themenfeld. Dieser Rhythmus ist übrigens identisch mit dem typischen Habanera-Rhythmus und auch Bruckner setzt ihn hier weich, lyrisch ein.
Die Kombination beider Rhythmen im weiteren Verlauf des Satzes führt zu einem durchgehenden Pulsieren des ganzen Orchesters.
Die Anlage der Ecksätze ist gegenüber der klassischen Form von zwei auf drei Themen erweitert (man mag hier ein Verweis auf die Dreifaltigkeit sehen), wobei dem Hauptthema ein gesangliches Seitenthema gegenübergestellt wird, dem wiederum ein drittes, großformatiges, oft aus dem Hauptthema abgeleitetes Thema folgt. Die einzelnen Themenblöcke sind oft durch Generalpausen voneinander abgesetzt. In allen Sätzen außer dem Scherzo gibt immer wieder hervorgehobene, choralartige und hymnische Passagen, die Gebets-, Meditations- oder Lobpreis-Charakter haben.
Ausschnitt aus dem Gloria der Messe d-Moll. Diese Passage greift Bruckner am Ende der Exposition des ersten Satzes der 3. Symphonie auf.
Typisch für den neuen Brucknerschen symphonischen Stil ist im ersten Satz der Dritten auch die Aufteilung des Hauptthemas in zwei unterschiedliche Gestalten, die dann separat mehrfach behandelt und weiterentwickelt werden. In der 3. Symphonie sind dies das prägnante, signalartige Trompetenmotiv und eine vom ganzen Orchester zweimal gespielte, nach unten rollende Gestalt, eine Exclamatio, die als Ausdruck von Demut angesichts der Majestät Gottes gesehen werden kann.
Die scharf umrissenen Themencharaktere, der ausbalancierte Werkverlauf mit seiner ausgeklügelten Folge von Steigerungen und Höhepunkten, das machtvolle Auftreten des Anfangsthemas aus dem ersten Satz als Apotheose in den Schlusstakten des Finales – alles kennzeichnet die Dritte als die Bruckner-Symphonie in geradezu exemplarischer Form. Nach dem Vorbild von Beethovens Neunter schafft Bruckner weiter an der Idee der Finalsymphonie, allerdings nur mit instrumentalen Mitteln.
Man kann, wie dies in der Bruckner-Literatur geschehen ist, von einer genau abgestuften symphonischen Wellenbewegung sprechen, die eine Brucknersche Symphonie durchzieht und unaufhaltsam auf das Finale zusteuert, um dort ihren krönenden, alles überbietenden Gipfelpunkt zu erreichen.
Quelle: Thorsten Blaich, Rundfunkschaetze.de/edition-staatskapelle-dresden/vol-39
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