Franz Liszt: Orpheus - Symphonische Dichtung, S.98
(1811-1886)
Franz Schubert: Fantasie C-Dur „Wanderer“ op.15 D 760
(1797-1828) Fassung für Klavier und Orchester von Franz Liszt
Johannes Brahms: Sinfonie Nr.1 c-Moll op. 68
(1833-1897)
Unser Festkonzert kreist um den Begriff des Wanderns – dem Gegenpol zu Heimat und Identität, die wir mit dem Tag der deutschen Einheit ja auch immer mitfeiern; zugegeben sind das gerade im deutschen Kontext schwierige Begriffe.
Schubert hat das Motiv des Wanderns viele Male aufgegriffen, in seinen Liedzyklen Winterreise und Die schöne Müllerin und natürlich in seinem Lied der Wanderer und der davon abgeleiteten Wanderer-Fantasie. Wir haben diese in einer konzertanten Fassung von Franz Liszt im Programm, der selbst über Jahre auf Wanderschaft war. Orpheus, ein Wanderer zwischen den Welten, hat Liszt zu einer sinfonischen Dichtung inspiriert. Brahms, der Antipode der Neudeutschen Liszt und Wagner, weilte sehr gerne in der Natur der Alpen: „Hoch auf dem Berg, tief im Tal“ grüßt der Wanderer Brahms seine Weggefährtin Clara Schumann. Sein Lebensweg zur Sinfonie scheint dem Weg durch ein Labyrinth nicht unähnlich – in vielen Werken schreibt er sich näher an seine erste Sinfonie.
Der zweiundzwanzigjährige Franz Liszt begegnet im Jahr 1833 erstmals Marie d’Agoult in ihrem Salon. Mit ihr wird er durch die Schweiz und durch Italien ziehen. Diese Wanderjahre hat Liszt zur Komposition der Années de pèlerinage (übersetzt Pilgerjahre), einer Sammlung von 26 Charakterstücken für Klavier veranlasst - musikalische Reflexionen zu Naturszenen, zu Werken der italienischen Kunst und zu Literatur. Dabei ist das Spektrum weit und reicht von Dantes Inferno zur Oberman, einem Briefroman von de Sénancour. In dem Roman gibt es keine klare Handlung: Oberman, der in die Schweiz reist, wird von einer „tristesse d'une vague profonde“, einer unerklärlichen Melancholie heimgesucht, die ihn von einem Ort zum anderen treibt, verzweifeln lässt und zur Untätigkeit verdammt: „Ich habe alles verlassen; jetzt bin ich auf fremdem Boden.“ Liszt nannte Oberman „das Buch, das stets mein Leid betäubt“.
Liszt wird allerdings irgendwann sesshaft – in Weimar. Orpheus ist die vierte von zwölf „Sinfonischen Dichtungen“, die Franz Liszt zwischen 1848 und 1858 in Weimar komponiert hat. Den Ausgangspunkt bildet ein poetischer Gedanke (idée poétique), welcher es dem Komponisten gestattet, dem Ausdruck vor der Form eine Vorrangstellung zu gewähren.
Liszts Orpheus wurde am 16. Februar 1854 in Weimar unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt, gedacht als Prolog zu Glucks Oper Orfeo ed Euridice. Orpheus hat Kräfte, die uns Menschen versagt sind: Wenn er singt, halten die Tiere inne und horchen auf, er kann sprichwörtlich Steine erweichen. Und er schafft es gar, die Unterwelt zu betreten, jenen verbotenen Ort, zu dem nur die Toten Zutritt haben. Von dort darf er seine Geliebte Eurydike zurückholen.
Sein Instrument, die Harfe, spielt eine prominente Rolle in Liszts Komposition. „Heute wie ehemals ist es Orpheus, ist es die Kunst, die ihre melodischen Wogen, ihre gewaltigen Akkorde wie ein mildes, unwiderstehliches Licht über die widerstrebenden Elemente ergiesst, die sich in der Seele jedes Menschen und im Innersten jeder Gesellschaft […] befehden“, schreibt Franz Liszt zur Einführung in das Werk.
„Wanderer-Fantasie“ ist der populäre Name für die Fantasie Opus 15 (D 760) in C-Dur von Franz Schubert, geschrieben im November 1822. Es handelt sich um ein Werk für Klavier in vier Sätzen, welche in ihrer Anordnung eine Sonate zu formen scheinen, andererseits besteht ein enger Zusammenhang zwischen den Einzelsätzen, so dass die Fantasie auch als ein großer Sonatenprozess gedeutet werden kann. Das ganze Werk basiert auf einem einzigen Motiv, das sich in seiner Reinform in der Melodie des zweiten Satzes findet, welche Schubert aus seinem eigenen Lied Der Wanderer (1816) nach dem Gedicht von Georg Philipp Schmidt von Lübeck entnahm. Die Wanderer-Fantasie wurde gleichermaßen von Robert Schumann und Franz Liszt bewundert. Liszt fertigte 1851 die kongeniale Fassung für Klavier und Orchester an, die wir im Programm haben.
Als Johannes Brahms im Spätsommer 1868 zur Erholung in den Schweizer Alpen weilte, wurde ihm – wenn man den Biographen Glauben schenken kann - eine Inspiration par excellence zuteil. In der Ferne hörte er ein Alphorn eine Melodie blasen, die er sogleich auf Notenpapier festhielt. Seiner Freundin Clara Schumann schickte er dieses Notat als Gruß zu ihrem Geburtstag am folgenden Tag. Als Titel schrieb er über die Noten „Also blus das Alphorn heut“. Acht Jahre später tritt diese Melodie im Finale seiner 1. Sinfonie in Erscheinung. Bis dahin ist es ein langer Weg:
Mit Beethovens Neunter hatte die Gattung Symphonie ihren Höhepunkt erreicht. Wie sollte es weitergehen? Machte es überhaupt noch Sinn, eine Symphonie zu komponieren? Liszt ging mit seinen sinfonischen Dichtungen neue Wege. Johannes Brahms war gerade mal 20 Jahre alt, scheu und sehr selbstkritisch, als der von ihm so bewunderte Robert Schumann ausgerechnet ihn in seinem Artikel "Neue Bahnen" als kommendes Musikgenie anpries, als würdigen Nachfolger des Sinfonikers Beethoven. An Ideen mangelte es ihm nicht. Er komponierte viel – Sonaten, Serenaden, Kammermusik und Klavierkonzerte; man mochte ihnen teilweise verkappte Sinfonien sehen. Aber eine Sinfonie von Brahms? 1862 komponierte Brahms einen Symphoniesatz in c-Moll, dessen leidenschaftliches Kopfthema Clara Schumann und die übrigen Freunde entzückte. Entwürfe zu weiteren Sätzen verwarf er immer wieder. Nach zehn Jahren verließ ihn endgültig der Mut und Brahms schrieb Anfang der 1870er, Brahms war mittlerweile fast 40 Jahre alt, an den befreundeten Dirigenten Herrmann Levi: "Ich werde nie eine Symphonie komponieren! Du hast keinen Begriff davon, wie unsereinem zumute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört!" Dabei blieb es aber für weitere zehn Jahre. Der Wiener Erfolg der „Haydn-Variationen" ließen den selbstkritischen Komponisten das Symphonie-Projekt wieder angehen. So entstanden 1876 endlich ein großangelegtes Finale als Gegengewicht zum bereits vorliegenden Kopfsatz und zwei leichter gewichtete Binnensätze - der langsame Satz, ähnlich Schumanns 4. Sinfonie übrigens mit einem Violinsolo. Er schreibt mit der bereits erwähnten Alphorn-Melodie in das Finale seiner ersten Sinfonie gleichsam eine klingende Postkarte, eine geheime Botschaft an seine Freundin Clara ein. Die Sinfonie endet erwartungsgemäß mit einem affirmativen Choral und trägt doch private Botschaften in sich. Vielleicht sind das die neuen Bahnen – die Verbindung von Liedhaftem, Privatem mit dem gesellschaftlichen Anspruch einer Sinfonie nach Beethoven, wie es sich schon bei Schubert ankündigt.
Das Werk wurde im selben Jahr in Karlsruhe uraufgeführt, die Folgeaufführungen leitete Brahms selbst innerhalb einer Woche in Mannheim und München.
Gottlieb Wallisch
Der aus Wien stammende Pianist ist Sohn einer Musikerfamilie. Mit vier Jahren begann Gottlieb Wallisch mit Klavierspielen und wurde im Alter von sechseinhalb Jahren als damals jüngster Student in die Begabtenklasse der Universität für Musik und darstellende Künste in Wien aufgenommen. Im Alter von zwölf Jahren debütierte er im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins.
Seitdem ist Wallisch mit seinem weit gefächerten Konzertprogramm in den wichtigsten Sälen und Festivals der Welt zu Gast: in der Carnegie Hall in New York, der Wigmore Hall in London, dem Musikverein Wien, der Kölner Philharmonie, der Tonhalle Zürich, aber auch beim Klavierfestival Ruhr, dem Beethovenfest Bonn, dem Lucerne Festival, den Salzburger Festspielen, den Dezember-Nächten in Moskau und dem Singapore Arts Festival. Unter den Dirigenten, mit denen er als Solist bereits auftrat, sind Giuseppe Sinopoli, Sir Neville Marriner, Dennis Russell Davies, Kirill Petrenko und Christopher Hogwood. Von 2010 bis 2016 leitete Gottlieb Wallisch eine Klavierklasse an der Haute École de Musique de Genève, 2016 folgte er einem Ruf auf eine Professur an die Universität der Künste Berlin.
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