Giovanni Gabrieli (ca. 1554-57 —1612)
Unsere Bläser- und Bläserinnen werden Giovanni Gabrielis Sonate von der Empore musizieren. Das hat einen guten Grund. Giovanni Gabrieli war Komponist und Organist am Markusdom in Venedig und einer der bedeutendsten Vertreter der venezianischen Mehrchörigkeit Obwohl nur wenige Belege existieren, dürfen wir davon ausgehen, dass ein wichtiger Einfluss von seinem Onkel, dem großen Komponisten Andrea Gabrieli (1532/33 – 1585) ausging. In München war er (wie schon zuvor Andrea Gabrieli) mehrere Jahre lang Schüler Orlando di Lassos am Hof des bayerischen Herzogs Albrecht V. und man nimmt an, dass er wie viele andere Musiker erst 1579 nach dessen Tod den Hof verlassen hat. In Venedig scheint er spätestens 1584 wieder auf und wird 1585 Nachfolger Claudio Merulos als erster Organist an San Marco. Venedig wurde dadurch zu einem führenden musikalischen Zentrum.
Die erste große Druckausgabe, die Werken Giovanni Gabrielis gewidmet war, sind die Sacrae Symphoniae von 1597. Sie fanden rasch internationale Verbreitung, vor allem in Deutschland, wo bereits 1598 in Nürnberg ein Nachdruck erschien. Es war fortan in den deutschsprachigen Ländern ein Privileg, bei Gabrieli zu studieren. Die adligen Herren schickten ihre begabtesten jungen Komponisten zur Vollendung ihrer Ausbildung zu Giovanni Gabrieli nach Italien – so entsandte der sächsische Hof 1609 auch Heinrich Schütz, der bis kurz nach Gabrielis Tod 1612 in Venedig blieb. Enge Freundschaft verband Giovanni Gabrieli auch mit Hans Leo Haßler.
Der Begriff der venezianischen Mehrchörigkeit bezeichnet eine Musikpraxis, die Mitte des 16. Jahrhunderts in Italien aufkam. Der Zuhörer wird von diesem Wechselspiel im Raum verteilter Klangkörper quasi umfangen. Die Architektur des Markusdomes in Venedig begünstigt ein solches Musizieren in getrennten Aufstellungen. Der Zeitpunkt ist allerdings kein Zufall. Der Wechsel vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild vollziehen Nikolaus Kopernikus (1543) und Galileo Galilei; in der Malerei wird die Perspektive als künstlerisches Mittel wiederentdeckt. Impulsgeber dieses veränderten Bewusstseins ist die Entdeckung Amerikas 1492 durch Christoph Columbus. Beim Übergang von Renaissance zum Barock durchdringt zu Beginn des 16. Jahrhunderts also das Bewusstwerden der räumlichen Dimension alle Gebiete des Lebens.
Die Musik erhält im Bewusstsein der Menschen dieser Zeit durch die ausdrückliche Betonung ihrer Räumlichkeit eine nahezu kosmische Dimension. Sie ist Teil des wohlproportionierten Universums und versinnbildlicht so die antike Sphärenharmonie, die Manifestation der Herrlichkeit Gottes im klingenden Kosmos in Klang verwandelnd. Und ganz zwanglos, Jahrhunderte überspringend, schlagen wir so die Brücke zu Anton Bruckner, dem genialen Außenseiter unter den Symphonikern des 19. Jahrhunderts.
Canzoni e Sonate (1615)
per sonar con ogni sorte de instrumenti
Interessanterweise sind bis heute die bekanntesten Instrumentalstücke Giovanni Gabrielis, die besonders gerne von den Blechbläserformationen der amerikanischen Symphonieorchester mit mächtiger Klangentfaltung und großem, sonorem Effekt dargeboten werden, der zu seinen Lebzeiten erschienenen Sammlung Sacrae symphoniae von 1597 entnommen, die in ganz Europa Verbreitung fand und im 19. Jahrhundert ganz besonders von der Wiederentdeckung Giovanni Gabrielis durch Karl von Winterfeld (1834) und seinen Arrangements für moderne Instrumente profitierte. Aus dieser Sammlung stammt auch Giovanni Gabrielis berühmtestes Einzelwerk, die Sonata pian e forte.
Die Canzoni e sonate, fraglos eine Weiterentwicklung des früheren Stils, sind hingegen später entstanden und wurden erst nach Gabrielis Tod 1615 gedruckt. Und sie wurden lange nicht nachgedruckt, da sich in keiner Bibliothek eine zusammenhängende Sammlung der 13 Stimmbücher befand. Sie blieben daher lange einem engen Kreis vorbehalten und wurden erst 1971 von Michel Sanvoisin herausgegeben.
Was die Besetzung betrifft, gibt es vielfältige Möglichkeiten. Die instrumentationstechnischen Angaben Gabrielis sind so kostbar wie selten. Während der Bass der Posaune anvertraut wird, dialogisieren Zink und Violine, häufig imitativ verknüpft. Oft führen diese beiden Melodieinstrumente Diminutionen aus, rasche Passagen, die im 16. Jahrhundert improvisiert wurden, die italienischen Komponisten seit dem Ende dieses Jahrhunderts aber schriftlich fixierten. Von Gabrieli instrumentiert ist die Sonate XVIII. Sie enthält drei Chöre mit 4 Zinken und 10 Posaunen.
Quelle: Christoph Schlüren - Vorwort zur Neuausgabe von Gabrieli Canzoni e Sonate, Musikedition Jürgen Hoeflich
Guillaume Lekeu (1870 bis 1894)
Guillaume Lekeu, Sohn reicher wallonischer Wollhändler, wuchs in Poitiers auf, später siedelte die Familie nach Paris. Er dürfte für viele Konzertbesucher ein nahezu Unbekannter sein. 1889 reiste der neunzehnjährige Lekeu zu den Bayreuther Festspielen und besuchte die Aufführungen der Meistersinger, Tristan und Isolde sowie Parsifal. Tief beeindruckt vor allem vom Parsifal kehrte er nach Paris zurück, fest entschlossen, Komponist zu werden. „Ich fühle, daß der Meister Bayreuths, mit all seinem wunderbaren Gewicht auf meinem Denken lastet.“ schrieb Guillaume Lekeu, direkt danach in sein Tagebuch.
Als Meisterschüler von César Franck und Vincent d’Indy schuf der Wallone zwischen 1887 und 1893 einige der bedeutendsten Kammermusikwerke des „Fin de Siècle“, darunter eine Violinsonate, ein Auftragswerk des belgischen Geigers Eugène Ysaye, eine Cellosonate, je ein Klaviertrio und Klavierquartett und Streichquartette. Der Originaltitel seines einzigartigen Werkes für großes Streichorchester ist „Adagio für Orchesterquartett“ und trägt den Untertitel „Les fleurs pâles du souvenir“. Das Streichorchester ist vielfach geteilt, es gibt nicht zwei Violinengruppen, sondern viergeteilte Violinen, auch die Bratschen und Celli sind jeweils geteilt. Hinzukommt ein solistisches Streichtrio aus Violine, Viola und Cello solo. Das vielgeteilte Streichorchester ist natürlich dem Einfluss Wagners geschuldet, man denke an das Lohengrin- Vorspiel. Aber statt der dort herrschenden lichten Helligkeit zieht uns Lekeu sofort in den Bann des Dunklen, Schweren. Der Beginn ist düsterem c-Moll gehalten. Über der seit Jahrhunderten als Lamentobass bekannten absteigenden Basslinie erklingt eine tieftraurige Melodie in c-Moll, die in Wagners Art der unendlichen Melodie weitergeführt wird; Sequenzen, zumeist fallend unterstreichen den leidvollen Ausdruck – wir fühlen uns an Parsifal erinnert, die Wunde, die nie sich schließt. Doch plötzlich hellt sich die Stimmung auf und eine bisher nicht gehörte Klangpracht und Freiheit der melodischen Erfindung im 5/4 Takt bricht sich Bahn. Es ist die Opulenz des „Fin de Siècle“, die Ornamentik des Jugendstil, da ist Schönbergs Verklärte Nacht ist nicht mehr weit. Doch die Düsternis des Anfangs kehrt wieder, heftiger die Sequenzen, als wolle jemand ausbrechen, aber das kommende Dunkel ist unaufhaltsam.
Als hätte er es gewusst: Lekeu starb mit nur 24 Jahren an den Folgen eines Typhus-Fiebers, das wohl durch den Genuss von Speiseeis ausgelöst wurde. Ein Sorbet machte seinem Leben und seiner musikalischen Karriere ein allzu frühes Ende. Was hätte man von diesem großen Talent noch alles erwarten können? Wie wäre sein weiterer kompositorischer Weg verlaufen? Viele seiner Werke sind in dieser Stimmung des „Fin de Siècle“, mal morbide, mal überschwänglich, aber kaum eines ist so genial instrumentiert und geschlossen. Aber warum ist nicht wenigstens dieses Werk bekannter? Fragen Sie die nicht unseren Chefdirigenten.
Anton Bruckner (1824 bis 1896)
Zwar trennen Gabrieli und Bruckner Jahrhunderte, aber sie sind sich nah. Kein anderer Komponist des 19. Jahrhunderts hat solche Klangkathedralen ersonnen wie Anton Bruckner. Als Organist fühlte er sich dem Erbe der Musik der Renaissance und des Barocks stets verbunden. Und Bruckner fasste sein musikalisches Schaffen immer als Bekenntnis und seine Kompositionsgabe als Geschenk Gottes auf. Dies verdeutlicht sich auch darin, dass Bruckner wie Johann Sebastian Bach eine religiöse Wendung zu seinen vollendeten Werken hinzuzufügen pflegte: omnia ad maiorem dei gloriam (Alles zur größeren Ehre Gottes). Für Bruckner war der Katholizismus keine Strömung, der er aus bloßer ästhetischer Neigung anhing. Bruckners Lebensstil war geprägt von fast mönchischer Einfachheit und stetem Streben nach Kontemplation. Hierzu gehörte mehrfaches Beten am Tag, das er gewissenhaft in seinem Kalender aufzeichnete. Ein Künstler, dessen oberste Prioritäten durch Gebet, Kommunionempfang, Beichte und Fasten vorgegeben waren, konnte nur auf Widerspruch der Zeitgenossen und ihrem Künstlerbild stoßen. Er schien gleichsam aus seiner Zeit gefallen zu sein und wurde erst spät als Komponist von den Zeitgenossen gewürdigt. Heute wird er zu den wichtigsten und innovativsten Tonschöpfern seiner Zeit gerechnet und hat durch seine Werke bis weit ins 20. Jahrhundert hinein großen Einfluss auf die Musikgeschichte ausgeübt.
Bildquelle: Bildarchiv Austria, ÖNB
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